Die Rangfolge der savignyschen Auslegungsmethoden

Viele Studenten, die erstmals mit dem savignyschen Auslegungskanon in Berührung kommen, fragen sich, in welcher Rangfolge die klassischen Auslegungsmethoden von Savigny (grammatisch, systematisch, teleologisch, historisch) stehen.

Denn das Problem ist, daß Lehrer des Rechts sich offenbar erstens nicht sauber ausdrücken können und zudem ihre persönliche Ansicht nicht als solche kennzeichnen, sondern als unumstritten darstellen.

So fand ich sowohl Darstellungen, wonach die grammatische Auslegung Vorrang habe, als auch Darstellungen, wonach die teleologische Auslegung führend sei.

Man muß sich aber vergegenwärtigen, daß die gram­matische Auslegung eigentlich in zwei Teile zerfällt: die Wortlautgrenze ist Grenze aller Auslegung, danach kommt bereits die Rechtsfortbildung. So betrachtet kann man mit Fug und Recht sagen, die grammatische Auslegung habe unbedingten Vorrang.

Jedoch kann man auch innerhalb der Wortlautgrenze weiter grammatisch auslegen. Die Wortlautgrenze ist nur die äußere Begrenzung potentiell vieler Auslegungsergebnisse. Und eines oder mehrere dieser Auslegungsergebnisse können aus der grammatischen Auslegung stammen.

Und genau hier existiert keine feste Rangfolge mehr. Vielmehr ist es eher so, daß viele Juristen nun die teleologische Auslegung vorziehen. So daß man auch mit Fug und Recht sagen kann, die teleologische Auslegung stehe höher als die grammatische.

Und damit lautet die Antwort auf die Eingangsfrage: Es gibt keine allgemein akzeptierte Rangfolge der Auslegungsmethoden. Die Reihenfolge ist umstritten, ja es ist gar fraglich, ob eine solche statische Reihenfolge sinnvoll angegeben werden kann und sollte. Die Wortlautgrenze ist die absolute Grenze. Dies ist aber nur ein Teil der grammatischen Auslegung. Und daraus ergeben sich wiederum starke Unterschiede in den Darstellungen verschiedener Autoren, je nachdem, welchen Teil sie nun meinen. Sauber getrennt wird das in Anfängerliteratur aber offenbar nie.